Emder Zeitung
Freitag, 9. Juni 2006
Hinte · Krummhörn · Ihlow
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Diskutierten über die Zukunft des Gulfhofes von Holger Rodiek (links): Vertreter aus der Krummhörn und verantwortlichen Behör-
den. Bernd Lahmann (rechts) vom Monumentendienst informierte über Geschichte und Architektur.
EZ-Bild: Meyer
Debatte um
Gulfhof für Dorfgemeinschaft
Ehepaar Rodiek will es für
maximal 18 Jahre anbieten.
Von EZ-Redakteur
GÜNTHER GERHARD MEYER
04921/890045
Freepsum. Weihnachtsmarkt,
Maibaum und Kultur fand
darin schon statt, jetzt soll ein
privater Gulfhof in Freepsum
offiziell als Dorfgemeinschafts-
haus genutzt werden. Die Be-
sitzer Holger und Lydia Ro-
diek stellten am Mittwoch-
abend gemeinsam mit
Dr. Bernd Lohmann vom
Verein „Monumentenwacht“
ihr Konzept den Vertretern der
Gemeinde, und für Dorfer-
neuerung Verantwortlichen
im Landkreis Aurich und bei
der Behörde für Landentwick-
lung (GLL) vor.
Möglich soll neben Brauch-
tumsfesten eine Nutzung von
Bürgern für private Geburts-
tags- und Hochzeitsfeiern so-
wie auch für Teetafeln nach
Beerdigungen sein.
Zeit drängt
Viel Zeit bleibt den Initiatoren
nicht, um ihr Projekt zu ver-
wirklichen, machte Folkert
Steinfelder von der GLL deut-
lich: Um Geldmittel aus der
Dorferneuerung zu bekom-
men, müsse die übrige Finan-
zierung gesichert werden.
„Das müssen sie in zwei bis
drei Monaten sicherstellen“,
sagte Steinfelder. Er wies auf
Drittmittel aus „Bingo-Lotto“,
der Lottostiftung und von der
Gemeinde Krummhörn hin.
In Rodieks Konzept spielen
erneuerbare Energien eine her-
ausragende Rolle: Schon jetzt
kann er nach eigener Aussage
nahezu alle Energiekosten des
Hofes durch seine Photovol-
taik-Anlagen decken. Geplant
hat Rodiek außerdem Semi-
nare und Fachtagungen sowie
Info-Veranstaltungen über Re-
generative Energien. „Der
Gulfhof wird dabei selbst zum
Anschauungsobjekt“, sagte er.
Für „Energie-Touristen“ wäre
der Gulfhof gleichzeitig Start-
und Endpunkt für Exkursio-
nen zum Zentralen Windpark
Groteland/Petjenburg oder ge-
planten Biogas-Anlagen in der
Umgebung.
Neue Energien
Das sieht auch Otto Kenke
vom Amt für Wirtschaftsförde-
rung beim Landkreis Aurich
so. Er erinnerte daran, dass im
neugegründeten Verein „Ems-
Achse“ vor allem der Land-
kreis Aurich Schwerpunkt-
Kommune für Regenerative
Energie werde: „Wir können
froh sein, wenn solche Bau-
substanz erhalten bleibt. Das
ist auch für den Tourismus
wichtig. Wenn die Höfe ir-
gendwann mal weg sind, fällt
das auch dem Gast auf.“
Kenke mahnte angesichts der
aktuellen politischen Situation
auch die Notwendigkeit an,
solche Projekte zu fördern.
„Würde der Iran uns den Öl-
hahn zudrehen, bekämen wir
das schnell zu spüren. Das
hätte wahnsinnige Auswirkun-
gen.“
Dass der Gulfhof auf diese
Weise langfristig gerettet wer-
den kann, begrüßte Folkert
Steinfelder von der GLL. „Er
ist wichtig für das Ortsbild
und auch die Dorfgemein-
schaft.“
Knackpunkt bei der Debatte
waren die Eigentumsverhält-
nisse: Nach 18 Jahren wäre der
Gulfhof wieder im Eigentum
der Familie Rodiek, warf ein
Zuhörer ein. „Und die Freep-
sumer stünden plötzlich ohne
Dorfgemeinschaftshaus da.“
Parallel-Planung
Ins Gespräch gebracht wurde
deshalb die Parallelplanung ei-
nes zusätzlichen Dorfgemein-
schaftshauses. Dazu sagte Ro-
diek: „Die Gemeinde kann in
der Vertragszeit viel Geld auf
die hohe Kante legen und es
später investieren. Aber viel-
leicht gefällt uns diese Form
der Nutzung ja auch noch wei-
terhin.“ Christine Müller
vom Oldenburger Dorferneue-
rungs-Planungsbüro „Regio-
plan“ erklärte, dass im Arbeits-
kreis Dorferneuerung Freep-
sum auch Alternativen disku-
tiert worden seien, etwa einen
Gulfhof an der Landesstraße
zu restaurieren. Eine Parallel-
Lösung hält sie für sinnvoll.
„Ein weiteres Dorfgemein-
schaftshaus würde dann nicht
in diesem Ausmaß, sondern
kleiner gebaut werden.“
Jetzt sollen die von Rodiek
vorgestellten Pläne weiter dis-
kutiert werden. Es werden sei-
tens der Gemeindeverwaltung
Möglichkeiten geprüft, wie die
öffentliche und private Nut-
zung des Gulfhofes über Ver-
träge geregelt werden kann.
Charakteristische Lage im Dorf: der Gulfhof Rodiek mit den Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach.
Der Gulfhofplan
Die Kosten für den Ausbau des
Gulfhofes belaufen sich auf
rund 207 000 Euro. Ohne öf-
fentliche Zuschüsse geht der
Umbau nicht. Mit 70 000 Euro
soll sich die Gemeinde betei-
ligen, 70 000 Euro sollen in Ei-
genleistung gespart werden,
weitere 70 000 Euro fallen
nicht an, weil Rodiek auf viel
gesammeltes Baumaterial zu-
rückgreifen kann. Maximal 18
Jahre will Rodiek seinen Gulf-
hof der Öffentlichkeit zur Ver-
fügung stellen, möglich seien
auch Zeiträume von 12 und 15
Jahren. Springt die Gemeinde
mit 70 000 Euro ein, will er
über den vereinbarten Zeit-
raum alle laufenden Kosten
und den Unterhalt für den
Gulfhof selbst tragen, die Ko-
sten erwirtschaften.
Stimmen
Georg Ackermann, SPD-Frak-
tionsvorsitzender im Gemein-
derat, sprach mögliche Pro-
bleme an: „Wenn private und
öffentliche Belange vermischt
werden, wird’s heikel. Bei-
spielsweise muss die Erbnach-
folge geregelt werden. Außer-
dem muss klar sein, ob öffent-
liche Belange Vorrang vor
wirtschaftlichen Verdienst-
möglichkeiten haben. Hat die
Silberhochzeit Vorrang vor
dem Dorffest?“
Helmut Wilts, Freepsumer
Bürger und Verwaltungsange-
stellter: „Ich warne davor, in
eine ’Glorifizierung’ zu verfal-
len, wenn es um den Erhalt
solcher Gulfhöfe gehe. Der
Hof erinnert an eine unrühm-
liche Vergangenheit, an das
Elend der Landarbeiter, die
hungernd um ihr Gehalt bit-
ten mussten. Die Älteren ge-
hen da nicht hin.“
Holger Rodiek, Besitzer des
Gulfhofes: „Öffentliche Be-
lange haben bei der Nutzung
des Gulfhofes stets Vorrang.
Außerdem kann man Brauch-
tumsfeiern lange vorher pla-
nen. Ältere Freepsumer kom-
men auch jetzt schon gerne zu
den Brauchtumsfesten und
Märkten.“
Insa Uphoff, Vorsitzende von
„Anno“, dem Verein für den
Erhalt alter Bauwerke: „Hier ist
ein Ehepaar, das zeigt, wie das
möglich ist. Das muss man be-
grüßen und unterstützen. Wir
haben schon ganz viel verlo-
ren. Ginge es nach ’Anno’
würde in Ostfriesland gar
nicht mehr neu gebaut. Eine
Umnutzung sei auch bei der
Gulfhofschule Loquard gelun-
gen. Ein ’Danz up de Deel’
hätte hier viel Charme. Das er-
ste von Anno restaurierte Haus
war in Freepsum sogar ein
Landarbeiterhaus.“
Enno Cornelius, KLG-Rats-
herr und Ortsvorsteher von
Greetsiel: „Freepsum könnte
sich glücklich schätzen, wenn
es klappt. Man muss nicht nur
reden, sondern die Sache ein-
fach anpacken.“
Eduard de Vries (SPD), Orts-
vorsteher von Freepsum: „Die
Landwirte sollten ebenfalls ein
Interesse an dem Erhalt der
Gulfhöfe haben. Die haben
hier ja schließlich gelebt.“
Der Monumentendienst über den Gulfhof Rodiek: Dr. Bernd Lahmann nahm ihn unter die Lupe
Der Gulfhof Rodiek in Freep-
sum ist einer der wenigen
noch erhaltenen, großen
Höfe. Er liegt, eingebunden in
das Warftdorf Freepsum - mit
dem Wohnteil zur Warftmitte
und mit dem Wirtschaftsteil
zur Landschaft an der alten
Siedlungsstelle.
Bau- und Raumstruktur des
Gebäudes, sein Gulfgerüst, das
verwendete Ziegelmaterial,
eine im Wohngiebel vorgefun-
dene Inschrift weisen auf das
Baujahr 1856 hin. Die Fenster
des Wohnteils sind Bindeglied
für den Wechsel vom Block-
rahmenfenster zum Blendrah-
menfenster.
Aus Vorgängerbauten stam-
men großformatige Steine und
einzelne zuvor bereits verzim-
merte Hölzer. Beachtlich ist
das erhebliche Alter eines Bal-
kens an der Decke über dem
ehemaligen Karnhaus, der in
die Zeit um 1525 datiert wird.
Viel älter ist auch eine Stän-
derreihe im Scheunenteil. Das
Gebäude stammt aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts und so-
mit ein Repräsentant aus der
Zeit der größten Baukonjunk-
tur in der Gemeinde Krumm-
hörn. Erhalten sind weite Teile
des Außenwandgefüges mit
schönen Formsteinen im Be-
reich des Gesimses und Sok-
kelvorsprungs, etliche Block-
rahmenfenster, eine Ofenni-
sche, die Kornbodentür, eine
Räucherkammer.
Auch der Wohnteil-Grund-
riss aus der Mitte des 19. Jh. ist
noch komplett erkennbar.
Dieser zeigt in seiner zweiräu-
migen Grundstruktur mit der
„Upkamer“ auf der einen Ge-
bäudeecke und dem Erschlie-
ßungsflur entlang der Brand-
wand noch eine erkennbare
Verwandtschaft zu den zwei-
räumigen Gulfhauswohnteilen
des 18. Jahrhunderts. Außer-
dem zeigen sich bereits Ele-
mente der für das 19. Jahrhun-
dert charakteristischen zuneh-
menden Raumdifferenzierung.
So ist der Brandgang zu einem
repräsentativen und annä-
hernd quadratischen Flur ge-
wachsen. Aus der ehemals
vom Brandgang abgeteilten
Reuterkammer der Gulfhäuser
des 18. Jahrhunderts ist hier
bereits ein vollwertiger weite-
rer Raum hervorgegangen. Seit
der Erbauung wurde der Hof
in einigen Bereichen den wan-
delnden Anforderungen ange-
passt. So wurden beispiels-
weise die Butzen des Wohn-
teils und die kleine Kammer in
Gebäudemitte entfernt und
die Außenwände des Scheu-
nenteils im 20. Jahrhundert
komplett erneuert. In jüngerer
Zeit wurden die Fenster des
Wohnteils ausgetauscht und
die Fensteröffnungen zum Teil
verändert, die Hohlpfannen
des Daches durch Wellplatten
ersetzt und der gesamte Stall-
bereich abgetragen.
Eine Inschrift datiert den Freepsumer Hof Rodiek in das Jahr 1856.
EZ-Bild: Meyer